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Wie man den richtigen Exportmarkt auswählt.

1.10.2018: “Wohin soll ich exportieren?”

Dies ist eine sehr wichtige und eine sehr häufige Frage hier in der Schweiz, wo der Export eine so dominante Rolle für unseren wirtschaftlichen Export spielt.

Rund die Hälfte des Schweizer BIP stammt aus dem Export. Die gute Nachricht ist, dass die Exporte wieder florieren, was 2017 zu einem Allzeitrekord mit über 220 Milliarden Schweizer Franken führte. 2018 wird höchstwahrscheinlich noch besser.

Schon in der ganzen jüngeren Geschichte spielte der Export eine zentrale Rolle für das kleine Land inmitten Westeuropas, das fast keine natürlichen Ressourcen besitzt (abgesehen von der schönen Landschaft). Um einen Weg aus der Armut zu finden, musste die Schweiz seit über 100 Jahren innovativ sein, neue Produkte kreieren und über die Grenzen hinaus schauen, um sie zu verkaufen.

Dieser Mangel an natürlichen Ressourcen wurde also zum Schlüssel unseres heutigen Erfolgs der Schweiz und verhalf uns über die Jahre zu unserer bemerkenswerten Position in der heutigen globalisierten Wirtschaft. Laut WEF ist die Schweiz immer noch das wettbewerbsfähigste Land der Welt. Und laut anderen Studien ist sie in den Top 3 der innovativsten Länder. Mit einer kleinen Bevölkerung von 8,4 Millionen ist die Schweiz der 15. grösste Exporteur der Welt. Und was noch unglaublicher ist: Auf die Schweiz entfallen über 4 % der weltweiten ausländischen Direktinvestitionen (bei nur etwa 0,1 % der Weltbevölkerung).

Mit Export im Zentrum unseres wirtschaftlichen Erfolgs ist klar, dass die Frage nach dem optimalen Exportmarkt unsere Unternehmerinnen und Unternehmer immer und immer wieder beschäftigt. Hier sind 5 Gedanken, die man bei der Auswahl des richtigen Exportmarktes beachten sollte.

1. Das ist sehr schwierig zu beantworten.

Natürlich gibt es keine “one fits it all-Antwort”, welcher Markt für Schweizer Exporteure oder für Sie der Beste ist. Es ist schlicht und einfach sehr komplex, die richtige Antwort zu finden. Hier sind nur ein paar Gründe dafür:

  • Die Exportbranchen sind unterschiedlich: Natürlich bietet jeder Zielmarkt von Branche zu Branche unterschiedliche Marktchancen. So kann z.B. ein Land für den Schweizer Lebensmittelexport sehr attraktiv sein, für die Pharmabranche aber überhaupt nicht.
  • Unternehmen sind unterschiedlich: Selbst innerhalb einer bestimmten Branche sind Produkte und Unternehmen sehr unterschiedlich. Z.B. ist die Wettbewerbsfähigkeit, die Preisgestaltung oder die gesamte Wertschöpfungskette anders usw.
  • Erfahrungen sind unterschiedlich: Einige Unternehmen sind sehr erfahrene Exporteure, andere beginnen gerade erst mit dem Export. Dies beeinflusst stark, welche Märkte in Betracht gezogen werden sollten.
  • Menschen und Kulturen variieren: Letztendlich sind es die Menschen mit ihren unterschiedlichen Präferenzen, kulturellen Hintergründen und Erfahrungen, die ein Exportprojekt und damit seinen Erfolg oder Misserfolg vorantreiben.

2. Verlassen Sie sich nicht auf generische  Export-Rankings.

Ich denke, dass Verallgemeinerungen nutzlos sind, welche Märkte und Regionen für die Schweiz – und überhaupt für irgendein Land – am besten sind. Trotzdem veröffentlichen viele Berater und staatliche Organisationen unermüdlich solche generischen Rankings. Als ein Beispiel, das ich gut kenne (ich war tatsächlich vor einigen Jahren an der Erstellung beteiligt…), ist hier das jährliche ranking der 10 Top-Export Märkte gemäss Switzerland Global Enterprise (S-GE), dem offiziellen Schweizer Wirtschaftsförderer, Stand November 2017.

Zusammengefasst sind die Top 10 Märkte für Schweizer Exporteure laut S-GE: 1. China, 2. USA, 3. Südkorea, 4. Singapur, 5. UK, 6. UAE, 7. Kanada, 8. Polen, 9. Japan and 10. Deutschland.

Aber kann man das so sagen? Für welche Branchen? Für welche Art von Produkte? Für welche Unternehmen? Für welche Art von Risikobereitschaft und Budget? Und was bedeutet das für Ihr Unternehmen?

Meiner Meinung nach nützen solche Ranking für echte Exportentscheide wenig.

Um meinen Standpunkt zu verdeutlichen, lassen Sie uns einen Blick darauf werfen, wie sich diese Top-10-Märkte in der ersten Hälfte des Jahres 2018 entwickelt haben.

Wie Sie in diesem Diagramm sehen können, haben die 9 der 10 «Top-Exportmärkte» gemäss S-GE mit Ausnahme der USA, Polens und in geringerem Maße Koreas sogar deutlich unterdurchschnittlich abgeschnitten. Die Exporte nach Großbritannien, Singapur, Japan und Kanada sind zurückgegangen bzw. im Falle der VAE und Chinas gleich geblieben.

Einige der grossen nominalen Exportgewinner der ersten Hälft 2018 wie die Niederlande, Frankreich oder Irland waren gar nicht auf der Liste. Prozentual gesehen führen die Niederlande (+50%), Irland (+21%), Polen (+17%) und Frankreich (11,4%) die Liste an, wobei wiederum nur Polen laut S-GE ein Top-10-Exportmarkt war. Was mich zu meinem dritten Gedanken bringt.

3. Prüfen Sie zuerst die nahen Märkte.

Warum in die Ferne schweifen, wenn die vielleicht beste Exportchance vor der eigenen Haustür liegt?

Was das Beispiel der Schweiz betrifft, so waren in der ersten Jahreshälfte 2018 viele Top-Wachstumsmärkte in absoluten (Geld) und relativen Zahlen (Prozentsatz) in der Tat “nahe”, europäische Länder. Noch heute gehen 58% aller Schweizer Exporte nach Europa. Und trotz des bemerkenswerten Aufstiegs der Volkswirtschaften in Asien und im Nahen Osten hat sich diese Zahl in den letzten zehn Jahren nur leicht verringert.

Woran liegt das? Warum sind die etwas kränkelnden europäischen Märkte trotz aller politischen, demografischen und wettbewerblichen Probleme immer noch attraktiv für Schweizer Exporteure? Hier sind nur einige Gründe:

Hier sind nur einige Gründe:

  • Kostenvorteil: In der Regel gilt: Je näher der Exportmarkt, desto tiefer die Kosten. Und umgekehrt. Dies aufgrund von logistischen Kosten (z.B. Transport und Reisen), kulturellen Missverständnissen, unterschiedlichen Rechtssystemen, unterschiedlichen technischen Anforderungen, Zeitunterschieden, regulatorischen Unterschieden, etc.
  • Heterogene Märkte mit reichlich Marktchancen für alle Branchen: Europa hat viele verschiedene Volkswirtschaften, die sich in unterschiedlichen Stadien befinden und unterschiedliche Bedürfnisse haben. Von hochentwickelten Volkswirtschaften wie Deutschland, Frankreich, UK oder den nordischen Ländern bis hin zu sich entwickelnden Märkten wie z.B. den Länern in Mittelost-Europa, Sie können ziemlich sicher sein, dass es für fast jeden Schweizer Exporteur eine Marktchance in Europa gibt.
  • Bevorzugter Markt für Exportstarter: Exportieren ist schwer! Deshalb starten 9 von 10 neuen Exporteuren aus der Schweiz im «einfachen» Exportmarkt Europa.
  • Präferenzieller Zugang: Dank dem Freihandelsabkommen und den verschiedenen bilateralen Verträgen geniesst die Schweiz einen präferenziellen Zugang zu den EU-Märkten. Oder anders ausgedrückt: Die Schweiz hat in Europa einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Top-Exportnationen wie China, den USA oder Japan.
  • Europa ist ein Erfolgsmarkt für Schweizer Exporteure: Eine Studie von S-GE und der Universität Zürich aus dem Jahr 2015 hat klar gezeigt, dass Schweizer Exporteure in Europa sehr erfolgreich sind. Im Vergleich zu Japan und den USA konnten wir im Zeitraum von 2002-2015 erhebliche Marktanteile gewinnen.
  • Stabile Währung: Ob Sie es glauben oder nicht, trotz der hinter uns liegenden sehr schwierigen Jahre und der diversen Währungskrisen ist der Euro – im Vergleich zu vielen anderen Währungen – immer noch recht stabil und berechenbar. Und außerdem können Sie mit dem Euro entlang Ihrer Wertschöpfungskette in verschiedenen EU-Ländern einkaufen, produzieren und verkaufen und somit Ihre FX-Risiken bestmöglich optimieren (“Natural Hedging”).

Bitte verstehen Sie mich hier nicht falsch. Ich bin mir der vielen Probleme, mit denen Europa konfrontiert ist, sehr wohl bewusst. Und ich habe den Aufstieg der asiatischen Märkte selbst miterlebt als ich in Tokio und Hongkong lebte. Wenn wir jedoch über Exporte sprechen, d.h. in einem Land produzieren und in einem anderen verkaufen, dann ist meine klare Empfehlung immer zuerst die Nachbarländer zu starten. Das heisst für die Schweiz: Europa.

Ich möchte hier noch einen weiteren Punkt hinzufügen, der häufig vergessen wird: Für Schweizer Unternehmen basiert unser Geschäft mit Asien oft nicht auf Exporten, sondern auf Investitionen. Das heisst, Schweizer Firmen produzieren in Asien, um in Asien zu verkaufen. Wie z.B. Nestlé, Schindler oder Barry Callebaut, die alle einen enormen Erfolg und Wachstum in Asien haben. Aber auch hier handelt es sich nicht um Exporte – sondern um FDI – und der Grossteil der Wertschöpfung wird ausserhalb der Schweiz generiert und gesammelt.

4. Trauen Sie keine Exportstatistik.

Exportstatistiken sind schwierig zu lesen und zu interpretieren. Und somit eine schwierige Basis um Marktentscheidung zu treffen. Ich bin keineswegs ein Experte, aber hier sind einige der Beispiele, auf die ich gestossen bin:

  • Die Schweiz hat in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg der Textilexporte nach Europa zu verzeichnen. Wenn Sie denken, dass dies ein Zeichen für die wieder auflebende Schweizer Textilindustrie ist (die sich übrigens dank grossartiger neuer Innovationen vor allem im Bereich der technischen Gewebe tatsächlich gut schlägt), dann liegen Sie falsch. Was diese Exportzahlen wirklich beflügelt, sind die Rücksendungen von Zalando-Kunden aus der Schweiz nach Deutschland.
  • Wussten Sie, dass ein erheblicher Teil (ich habe gehört, 60%) der boomenden Pharmaexporte der Schweiz in die USA tatsächlich auf «Intercompany»-Handel beruht? Das heisst z.B., die grossen Pharmafirmen verschiffen bestimmte Substanzen aus der Schweiz an eine Produktionsstätte in den USA, wo neue Medikamente hergestellt und dann wieder exportiert werden.
  • Ein anderes Beispiel: Wenn man sich die Exportstatistiken anschaut, scheinen Schweizer Uhren in Belgien sehr beliebt zu sein, aber nicht in Luxemburg. Ein Grund dafür ist, dass viele Schweizer Uhren – die eigentlich in Luxemburg landen – zunächst nach Belgien importiert werden, um dann von dort aus an Uhrengeschäfte in Luxemburg verteilt zu werden.
  • Ein grosser Teil der Schweizer Exporte in die Niederlande und nach Belgien ist in der Tat das, was wir den “Rotterdam”- oder “Antwerpen”-Effekt nennen. Das heisst, die Schweiz verschifft Waren in diese grossen Häfen, um sie in die Welt zu exportieren. In unserer Exportstatistik erscheinen sie jedoch als Exporte nach Belgien oder in die Niederlande.

5. Wissen, reden, sehen, denken, entscheiden und tun.

Um das Obige zusamenzufassen: Ihren optimalen, nächsten Exportmarkt zu bestimmen ist sehr schwierig.

Abgesehen von der Tatsache, dass es fast unendlich viele Märkte gibt, aus denen man auswählen kann, ist es sehr schwer, relevante Entscheidungs-Informationen zu finden und noch schwieriger, diese richtig zu interpretieren.

So einzigartig wie Sie und Ihr Unternehmen sind, so einzigartig ist auch Ihr Marktauswahlprozess und Ihre Markteintrittsstrategie. Es führt kein Weg daran vorbei, sich viel Zeit zu nehmen und sich anzustrengen.

Alles beginnt mit einer klaren Geschäftsstrategie (know). Dann reden Sie mit so vielen Experten wie möglich. Menschen wie z.B. Ihre Unternehmerkollegen, Ihre Mitarbeiter, Branchenexperten (z.B. Branchenverbände wie Swissmem) oder Länderexperten und Exportspezialisten wie Switzerland Global Enterprise oder die verschiedenen Handelskammern der Schweiz. Und andere, insbesondere auch verschiedene Quellen im potenziellen neuen Exportmarkt.

Und vergessen Sie nicht, sich mit den eigenen Augen zu sehen. Gehen Sie ins Land hin, besuchen und erleben Sie Ihre zukünftigen Zielmärkte und sprechen und treffen Sie Ihre potentiellen Partner. Erleben Sie die Menschen, die Kultur und das mögliche Absatzland persönlich. Seien Sie dabei ehrlich, ob Sie sich bei all dem wirklich wohl fühlen oder nicht. Am Ende sind all diese persönlichen Eindrücke und Ihr Bauchgefühl genauso wichtig wie alle anderen Fakten, die Sie vielleicht vorher gesammelt haben.

Denken Sie zum Schluss noch einmal über alles nach. Treffen Sie dann eine Entscheidung und legen Sie los! Wenn Sie sich mit den oben genannten fünf Gedanken richtig auseinandergesetzt haben, sind Ihre Chancen auf einen erfolgreichen Export viel höher. Viel Erfolg!

In diesem Blog habe ich versucht, ein recht breites und heterogenes Thema zu behandeln. Das heisst, ich musste vereinfachen und viele Aspekte auslassen. Trotzdem hoffe ich, dass es einige nützliche Gedanken für Sie mit dabei hatte. Wie immer, bitte kommentieren Sie! Hat es Ihnen gefallen? Oder nicht? Stimmen Sie zu? Was sehen Sie anders? Ich freue mich auf Ihren Input.